Ich habe in der Zeit in Istanbul nur wenige Momente erlebt, in denen ich wirklich Angst hatte. Normalerweise unterscheidet sich das Leben nicht wesentlich von dem in Deutschland. Man geht zur Uni, trifft Freunde, unternimmt was zusammen, trinkt Kaffee, geht essen, ins Kino, auf Konzerte, auf Feiern. Und selbst das Nach-Hause-Kommen war nicht besonders beängstigend. Mal mit dem Bus, mal mit dem Taxi, oder auch zu Fuß, ich habe mich zumindest nie in Gegenden begeben, in denen es wirklich gefährlich ist.
Aber manchmal gibt es eben Situationen, in denen etwas passiert, was man nicht einschätzen kann. Dazu gehört zum Beispiel der Istanbuler Straßenverkehr. In jedem Auto befindet sich eine Hupe, und die wird auch fleißig benutzt, dafür ist sie schließlich da. Wenn sie nicht alle zehn Minuten benutzt wird, ist sie sehr wahrscheinlich kaputt – durch Abnutzung. Die Hupe ist auch wesentlich wichtiger, als zum Beispiel Bremsen, denn das tun Istanbuler Autofahrer grundsätzlich nicht – außer, es lässt sich wirklich gar nicht vermeiden, was nur in den seltensten Fällen ist. Manchmal hat man den Eindruck, wenn die Autofahrer um eine Ecke kommen und sich gerade Fußgänger auf der Straße befinden (meistens eilt man sowieso schon voller Angst über die Straße, weil jederzeit ein neues Auto kommen kann), dass sie extra beschleunigen, um die Menschen rennen zu sehen. Nicht selten entkommt man so gerade eben den Autos, manchmal enden diese Kotakte auch nur knapp ohne Berührung. Ein erschreckendes Erlebnis hatte ich auf der Istiklal, der Haupteinkaufsstraße in Istanbul. Ein kleiner Transporter fuhr durch die Einkaufsstraße (leider fahren auch dort, wo eigentlich keine Autos fahren dürfen immer reichlich Autos herum – Taxies, Lieferwagen und natürlich die Polizei) und wollte an zwei Jungs vorbei, die vor ihm gingen. Er hupte, aber sie gingen nicht aus dem Weg – ob absichtlich oder ob sie es wirklich nicht wahrgenommen hatten, weiß ich nicht. Er versuchte es dreimal, und als die Jungs nicht aus dem Weg gingen, gab er Gas und fuhr einen von hinten an. Er fiel fast hin, sprang völlig erschrocken aus dem Weg, und der Mann (mit Frau und Kind im Wagen) gab Gas, schrie und gestikulierte wild, fühlte sich also auch noch völlig im Recht. Ich war schwer schockiert. Unmöglich. Und in diesem Sinne fühlen sich die Autofahrer meistens im Recht, so dass man als Fußgänger eigentlich nicht eine Chance hat, sondern immer warten sollte. Oder schnell sein sollte. Wenn man eine Straße überqueren will, sollte man nie zögern, denn wenn man nicht sofort losrennt, sobald sich eine Möglichkeit bietet, ist sie im nächsten Moment auch schon vorbei.
Ein weiteres Problem in Istanbul sind die Menschenmassen. Hier finden oft Demonstrationen statt, von denen ich mich immer tunlichst fern halte. Aber generell komme ich damit auch gar nicht in Berührung. Ganz schlimm waren die Demonstrationen am 1.Mai. Ich war den ganzen Tag mit meiner WG zu Hause, aber wir haben im Fernsehen verfolgt, dass in Taksim und auch an anderen Orten in Istanbul die Polizei gegen Demonstranten kämpfte, mit Tränengas, Wasserstrahlern und mit Körpereinsatz. Es kam zu Schlägereien, Verletzten und Unfällen, obwohl schon vorher Plätze abgesperrt wurden, ließen sich diese Konfrontationen doch nicht vermeiden. Auch wenn der Versuch löblich ist, Massenkarambolagen zu vermeiden, hat das leider auch nichts mehr mit Meinungsfreiheit zu tun.
Generell ist aber auch die Polizei mit Vorsicht zu genießen. Nicht selten nutzen sie ihre Macht auch aus. Meine Freundinnen haben durchaus schon ihre Erfahrungen gemacht, als sie auf der asiatischen Seite gewohnt haben und nachts Polizisten getroffen haben, die ihre Ausweise sehen wollten, sie nicht gehen ließen, oder auch einmal sie nach Hause begleitet haben und sie dann in der Küche saßen und nicht wieder gehen wollten, dort eine Stunde verharrten. Ich selber halte mich von denen fern, schaue sie nicht an, mache nicht auf mich aufmerksam, denn als Ausländer ist man immer gerne gefundenes Fressen für Machtspielchen. Aber auch so, wenn sie dann in Uniform, das Maschinengewehr im Anschlag und mit bösem Blick in der Einkaufsstraße stehen, finde ich es eher beunruhigend, als sicherheitsgebend.
Normalerweise habe ich auch in der Innenstadt keine Angst, obwohl es immer sehr extrem voll ist. Ein Ausflug ins Oberhausener Centro oder Essen Innenstadt an einem Samstag Vormittag kann mich jetzt wohl nicht mehr aus der Ruhe bringen. Aber einmal hatte ich doch ein mulmiges Gefühl, gerade heute, wo man ständig von irgendwelchen Anschlägen hört. Als ich für Silvester wieder in Istanbul war und am 31.12. noch mal durch die Innenstadt bin, standen da so viele Autos und ich dachte, hoffentlich findet jetzt nicht hier und heute ein Anschlag statt. Ich war wirklich heil froh, wieder zu Hause zu sein, und auch, als Silvester und Neujahr vorbei waren.
Mittlerweile habe ich mich aber daran gewöhnt, in einer der größten Städte der Welt zu leben. Man befindet sich ja immer nur in einem kleinen Teil der Stadt. Man muss sich gedanklich einfach damit arrangieren, und im Endeffekt einfach nicht mehr darüber nachdenken. Ist halt so, fertig. Denn trotz dieser Größe und diesem Dreck und dem Lärm gibt es hier auch wahnsinnig schöne Orte. Doch davon ein anderes Mal…
2 Kommentare:
Hallo Sonja, heute habe ich endlich mal wieder daran gedacht, in deinen blog zu schauen. Interessant, dein beginnender Rückblick. Deine Fotos sind auch sehr schön, man sieht, dass es dir gut geht und das ist sehr erfreulich. Schade, dass du noch mal den Stess mit der Umzieherei hast, aber was soll`s, du bist ja schon gebt :-).
Ich wünsche dir noch viele Gründe ( oder auch keine) zum Feiern und viel Spaß in den letzten Wochen in Istanbul. Liebe Grüße von uns allen, Hilla
Hallöchen, mein Schatz,
gut, dass Deine Eltern so einiges vorher nicht wußten! Kann ja doch ganz schön gefährlich sein, so ein Aufenthalt in soooo einer Risen-Stadt!
Ich glaube aber trotzdem, dass die positiven Erlebnisse alles andere aufheben - glücklicherweise.
Dir weiter eine schöne Zeit.
Gruß, Mama
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